War 2021 der letzte kühle Mainzer Sommer?
Wohnen ist - neben dem Klima - das große Thema der Gegenwart. So war es in den letzten Monaten des Wahlkampfes von allen Parteien deutlich zu hören. Die vielbeschworene Lösung lautet immer "Baut, baut mehr, es muss noch mehr gebaut werden!". Dass für dieses Bauen bislang unversiegelte Flächen benötigt werden, wird ausgeblendet. Dem stehen mehrere extrem heiße und trockene Sommer gegenüber, die wir gerade in der Innenstadt mehr als deutlich gespürt haben. Grundwasserpegel, die sinken, Aufrufe der Stadt, die Bäume zu wässern, daran werden sich alle noch erinnern.
Was bedeutet dieser Gegensatz der Interessen speziell für Mainz? Auf dem Mainzer Stadtgebiet sind nur noch wenige Flächen vorhanden, die bebaut werden dürften. Einige davon sind zwar noch nicht versiegelt, aber schon für Bebauung reserviert. Hat man untersucht, wieviel Potential das Überbauen von bereits versiegelt Parkplätzen und niedrigen Gewerbebauten bietet? Und wie viele Wohnungen in Mainz eigentlich gebraucht werden, weiß man auch nicht so genau. Das liegt einerseits daran, dass es keine aktuelle Leerstandsanalyse gibt, andererseits sind die Hochrechnungen der Bevölkerungsentwicklung oft unzuverlässig, wie man deutschlandweit sehen kann.
Bauplanung dauert üblicherweise 10-15 Jahre, d.h. heute wird für die Zukunft geplant. Man kann sehr genau beobachten, dass der starke Wohnungsbau häufig Pendler aus dem Umland anzieht und nicht ausreichend Entlastung für einkommensschwächere Haushalte schafft. Neben dem Wohnen sollen auch Gewerbe und Handwerk ihren Platz haben. Aktuell wird wieder diskutiert bzw. geplant, zahlreiche Flächen neu zu versiegeln. Hinter der Uni soll hochschulnahes Gewerbe angesiedelt werden, an der A 60 ist ein weiteres Gewerbegebiet angedacht, für das Gewerbegebiet Hechtsheim steht irgendwann auch eine Erweiterung an, die Frankenhöhe und der "Spargelacker" auf dem Lerchenberg werden mit Wohnungen bebaut. Hinzu kommen Nachverdichtungen an etlichen Stellen. In allen diesen Fällen würde Fläche versiegelt. Ver- statt entsiegelt. Wo Flächen versiegelt werden, entstehen Hotspots, die Wärme speichern. Zu wenig Fassadenbegrünung verschärft das Problem. Zusätzlich sollen völlig neue Stadtteile entstehen. OB Ebling möchte einen neuen Stadtteil mit beispielhafter ökologischer Bebauung zwischen Hechtsheim und Ebersheim umsetzen.
Und auf der anderen Rheinseite, im Wiesbadener Ostfeld, ist ein Gewerbe- und Wohngebiet als ökologisches "Leuchtturmprojekt" geplant. Das Ostfeld ist ein Kaltluftentstehungsgebiet zwischen Kastel und Erbenheim, dessen Kaltluftströme sich bis in die Mainzer Alt- und Neustadt auswirken, wie das Projekt KLIMPRAX 2019 feststellte. KLIMPRAX beschäftigte sich mit temperaturbedingten Klimafolgen für Kommunen und zeigte, dass die Anzahl der sogenannten Tropennächte in Alt- und Neustadt sich im Vergleich zum Zeitraum 1970-2000 bis 2060 mehr als verdoppeln wird (Anstieg von 14 auf 33). Da das Gebiet bislang als Regionaler Grünzug mit besonderen Klimafunktionen definiert war, musste über ein Zielabweichungsverfahren eine Ausnahmegenehmigung geschaffen werden, um das Gebiet bebauen zu können, Und obwohl die Wiesbadener Stadtentwicklungsgesellschaft (SEG) vor bald zwei Jahren noch verlauten ließ, die Citybahn sei als Mobilitätsanbindung eine Voraussetzung für die Bebauung, verfolgt sie die Pläne sehr konsequent weiter.
Selbst wenn diese neuen Stadtteile als Null-Emissions-Quartiere geplant werden, bleibt der Fakt, dass hier bisher unbebauter Boden versiegelt wird. Gern wird verschwiegen, dass Boden, Äcker, Wiesen, Weinberge nicht nur als Kaltluftentstehungsgebiete eine hohe klimatische Bedeutung haben, sondern ebenso als CO2-Speicher und als Biodiversitätspool, denn hier leben Bakterien, Insekten und andere Tiere, die ihre Funktion im ökologischen System haben.
Die BUND Kreisgruppe Mainz-Stadt sieht diese Entwicklung mit großer Sorge. "Wir alle wissen, dass die Klimakrise unsere Lebensbedingungen verändern wird. Trotzdem wird weiter geplant wie in den Wirtschaftswunderjahren. Die Herausforderungen der Zukunft verlangen ein Umdenken von uns," betont Maren Goschke, Vorstandsmitglied der Mainzer BUND-Gruppe und Leiterin der Kindergruppe. "Wir müssen vorausplanen, um noch drastischere Veränderungen soweit wie möglich zu verhindern und nicht nur die Folgen zu beheben. Unversiegelte Flächen müssen erhalten bleiben, damit die Lebensgrundlagen unserer Kinder nicht weiter zerstört werden."
"Vor 20 Jahren hat Deutschland beschlossen, die tägliche Bodenversiegelung auf 30 ha am Tag zu reduzieren. Wir sind aber immer noch bei 60 ha. Das sind über 80 Fußballfelder. Pro Tag!" ergänzt Dr. Marcel Weloe, Luftchemiker und ebenfalls BUND-Vorstandsmitglied. "Wir fordern Ehrlichkeit von allen in der Stadt Mainz, die über die Entwicklung entscheiden, wie die Zukunft gerettet soll!"